Schützen Sie die Einheit und Vielfalt der Schweiz!
Ich wurde eingeladen, am 31. Juli in Venthône und am 1. August in Finhaut eine Rede zum Nationalfeiertag zu halten. Ich habe mich entschieden, den Schwerpunkt auf die Gefahren der Desinformation zu legen, die bis in die Korridore des Bundeshauses immer präsenter wird, sowie auf die Vision einer Gesellschaft, in der das Glück nicht vom übermässigen Konsum abhängt, sondern von den Werten der Einfachheit und Genügsamkeit. Ich freue mich, ihn hier teilen zu können.
"Liebe Landsleute, liebe Freunde, liebe Behördenvertreter,
Ich möchte der Entwicklungsgesellschaft danken, dass sie mich eingeladen hat, die traditionelle 1. August-Rede hier in Finhaut zu halten. Es ist mir eine Ehre, in dieser Gemeinde und im Trienttal sprechen zu dürfen, die ich während meiner Ferien kreuz und quer zu durchstreifen pflege.
Wir sind heute Abend hier, um gemeinsam den Schweizer Nationalfeiertag zu begehen, einen Tag, der uns nicht nur an unsere gemeinsame Geschichte erinnert, sondern auch an die Werte, die uns vereinen und die unser Land stark machen.
Eine Geschichte von Freiheit und gegenseitiger Hilfe
Vor mehr als sieben Jahrhunderten, im Jahr 1291, trafen sich die Vertreter der Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden, um den Bundesbrief zu unterzeichnen. Dieser Gründungsakt, ein Symbol der Freiheit und der gegenseitigen Unterstützung, markierte den Beginn unserer Eidgenossenschaft. Als die Schweiz 1815 das Wallis in ihre Mitte aufnahm, erweiterte sie nicht nur ihre Grenzen, sondern bereicherte auch ihr gemeinsames Erbe und bewies damit, dass die Einheit in der Vielfalt eine Quelle der Stärke und des Wohlstands ist. Gemeinsam bauen wir weiterhin an einer inklusiven Schweiz, in der jeder Kanton, jede Gemeinde und jeder Einzelne, unabhängig von Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder sexueller Orientierung, seinen Platz hat und zum Gemeinwohl beiträgt.
Seit 1891, dem Jahr, in dem anlässlich des 600. Jahrestags des Bundesbriefs beschlossen wurde, den Nationalfeiertag am 1. August zu begehen, ehren wir jedes Jahr dieses Erbe, diesen starken Willen zur Unabhängigkeit und Solidarität, der unser Land nach wie vor leitet.
Demokratie durch Desinformation bedroht
Unser einzigartiges politisches System ist eine der größten Stärken der Schweiz. Die halbdirekte Demokratie ermöglicht es jedem Bürger, sich aktiv am politischen Leben zu beteiligen, nicht nur durch die Wahl von Vertretern, sondern auch durch die direkte Beteiligung an Entscheidungen über Initiativen und Referenden. Diese Nähe zwischen Volk und Macht garantiert eine transparentere und verantwortungsvollere Regierungsführung, die den Wünschen jedes Einzelnen besser entspricht. Wir sollten stolz auf diese Besonderheit sein, die es uns ermöglicht, unsere Zukunft auf kollektive und demokratische Weise zu gestalten.
Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, die Gefahren, die unsere demokratische Kultur bedrohen, zu erkennen und sich gegen sie zu wappnen. Die Verbreitung von Falschinformationen, sogenannten Fake News, oder von Audio- und Videoinhalten, die mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt oder verändert wurden, sogenannten Deepfakes, stellt eine echte Bedrohung für die Transparenz und das Vertrauen dar, die das Herzstück unseres politischen Systems sind. Sie kann Verwirrung stiften, unsere Gesellschaft spalten und Entscheidungsprozesse in unzulässiger Weise beeinflussen.
In der Schweiz, wo jede Stimme zählt und jeder Bürger die Macht hat, die Politik zu gestalten, ist der Schutz der Integrität der Informationen von entscheidender Bedeutung. Es ist unsere kollektive Pflicht, die Medienkompetenz zu fördern, Qualitätsjournalismus zu unterstützen und gegenüber neuen Formen der Desinformation wachsam zu bleiben. Indem wir unsere Abwehrkräfte gegen Falschinformationen und manipulierte Audio- und Videoinhalte stärken, erhalten wir die Gesundheit unserer Demokratie und stellen sicher, dass die öffentliche Debatte weiterhin auf wahren Fakten und einer ehrlichen Diskussion beruht.
Der Einfluss von Lobbys und der Stellenwert der Wissenschaft
Was diesen letzten Punkt betrifft, so lässt mich meine Erfahrung in Bern ziemlich nachdenklich zurück:
Lobbyisten aller Art laufen ungehindert durch die Korridore des Bundeshauses und verbreiten Informationen, die nicht immer korrekt und vor allem parteiisch und unvollständig sind.
Im Gegensatz dazu werden Wissenschaftler oft schlecht empfangen, wenn sie kommen, um ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren, die beispielsweise zeigen, dass die Schweiz in Bezug auf die Biodiversität das Schlusslicht in Europa bildet, da die Hälfte der natürlichen Lebensräume und ein Drittel der Arten bedroht sind, oder dass die menschliche Aktivität für den Klimawandel und die Zunahme von Extremereignissen verantwortlich ist, wie wir es leider gerade wieder mit den Überschwemmungen dieses Sommers bestätigt bekommen haben.
Die Schweizer Hochschulen produzieren wichtiges und nützliches Wissen, das vermehrt als Grundlage für die Entscheidungsfindung in der Politik und in der Bevölkerung dienen sollte.
Geopolitische Herausforderungen und die Bedeutung von Solidarität
Wir dürfen auch nicht die Herausforderungen vergessen, denen sich unser Land in einem sich ständig verändernden geopolitischen Umfeld stellen muss. Globalisierung, Wirtschaftskrisen, internationale Spannungen und Umweltfragen sind allesamt Faktoren, die sich auf unseren Alltag und unsere Zukunft auswirken. Die Schweiz hat als neutrale und wohlhabende Nation eine wichtige Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen.
Unser Engagement für Frieden, Diplomatie und internationale Zusammenarbeit ist von entscheidender Bedeutung. Wir müssen unsere Werte des Dialogs, des Respekts und der Solidarität weiterhin über unsere Grenzen hinweg verteidigen, trotz der Entmutigung, die manchmal aufkommen kann, wenn Konflikte festgefahren sind und unlösbar erscheinen oder wenn unsere diplomatischen Bemühungen nicht sofort von Erfolg gekrönt sind.
Die Versuchung mag groß sein, dass wir uns lieber in uns selbst verkriechen und das Interesse an den globalen Herausforderungen verlieren. Dabei wird jedoch übersehen, dass diese Herausforderungen in einer so globalisierten Gesellschaft und Wirtschaft wie der Schweiz natürlich auch zahlreiche Auswirkungen auf unser Land haben, wie wir bei der COVID-19-Pandemie oder dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine gesehen haben.
Glück bedeutet nicht, zu konsumieren
Wie Sie wissen, ist mein politisches Engagement stark mit der Frage verbunden, wie der Mensch mit der Natur umgeht. In diesem Zusammenhang würde ich mir wünschen, dass es uns gelingt, uns mehr in Richtung einer Gesellschaft zu bewegen, die auf den Werten der Einfachheit und Genügsamkeit basiert.
Technologische Innovationen und strengere gesetzliche Vorschriften sind zwar notwendig, aber ich bin davon überzeugt, dass sie ohne einen Wertewandel in Bezug auf die Konsumgesellschaft nicht ausreichen werden, um die ökologischen Herausforderungen zu bewältigen.
Ich bin immer wieder überrascht, dass unsere Kinder vor allem durch die Schule immer mehr für Umweltfragen sensibilisiert werden, gleichzeitig aber täglich mit Werbebotschaften bombardiert werden, die ihnen eine einfache Botschaft vermitteln: "Wenn du glücklich sein willst, konsumiere!".
Um aus dieser Schizophrenie herauszukommen, ist ein Wertewandel erforderlich.
Wir müssen unser Verlangen umerziehen, uns von der allgegenwärtigen Werbung befreien und verstehen, dass der Besitz von Gegenständen und der Konsum auf Teufel komm raus kein Garant für Glück ist. Glück kommt vielmehr von der Qualität unserer emotionalen Beziehungen, der gemeinsamen Liebe, der Verwirklichung unserer tiefen Sehnsüchte, einem Leben in guter Gesundheit und der Qualität unserer Erfahrungen, insbesondere in der Natur.
Glück lässt sich nicht durch den Besitz von materiellen Gütern erkaufen, sondern wird durch unsere sozialen Beziehungen aufgebaut.
Aufbau einer starken und gerechten Schweiz
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Freunde, die Schweiz hat dank ihres Zusammenhalts, ihres Initiativgeistes und ihrer Fähigkeit, sich neu zu erfinden, schon immer Hindernisse überwunden. Lassen Sie uns diese Qualitäten auch weiterhin pflegen, unsere Solidarität stärken und unser demokratisches Modell fördern. Und versuchen wir, uns von den Sirenen des Konsumismus zu befreien und unsere Lebensweise einfacher zu gestalten. Gemeinsam können wir eine noch stärkere, gerechtere Schweiz aufbauen, die unseren Planeten und das Wohlergehen unserer Kinder respektiert.
Ich wünsche Ihnen allen einen fröhlichen Nationalfeiertag.