Als Nemo im Mai letzten Jahres den Eurovision Song Contest gewann, verhalf er der Schweiz zu internationalem Glanz. Während die Medienberichterstattung über das Ereignis zunächst festlich war und von einem gewissen Stolz auf den Sieg zeugte, räumte sie der Frage der Geschlechtsidentität schnell einen großen Raum ein. Nemo, der offen behauptet, nicht-binär zu sein, bietet uns die Gelegenheit, die Frage der Anerkennung der Nicht-Binarität auf die Agenda des Schweizer Parlaments zu setzen.
100'000 bis 150'000 nicht-binäre Menschen in der Schweiz
Aber was ist eigentlich Nicht-Binarität? Sie betrifft alle Personen, deren innere und individuelle Erfahrung mit dem Geschlecht nicht binär ist, d. h. nicht ausschließlich weiblich oder männlich. In seinem Lied erzählt Nemo von seinem komplizierten Weg, sich selbst zu akzeptieren und mit der Geschlechtsidentität zu leben, die seiner Person wirklich entspricht. Die Nicht-Binarität wird nicht nur immer besser verstanden, sondern auch von der Bevölkerung zunehmend akzeptiert. Das ist erfreulich, denn laut dem Bericht der Nationalen Ethikkommission von 2020 leben in der Schweiz zwischen 100'000 und 150'000 nicht-binäre Menschen, das sind ungefähr so viele Menschen wie die Stadt Bern hat.
Die Rechtswirklichkeit in der Schweiz ist jedoch nach wie vor unbefriedigend. Das Funktionieren des Staates, der die Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens regelt, ist binär aufgebaut, was sich auch auf die Institutionen und Infrastrukturen des Landes auswirkt. Nicht-binäre Menschen leiden täglich unter einem enormen Anpassungsdruck und sind mit diskriminierendem Verhalten konfrontiert.
Die Anerkennung der Nicht-Binarität ist eine Frage der Menschenwürde und der Garantie der Freiheit, man selbst zu sein.
Angesichts dieser Realität verschließt der Bundesrat die Augen und will nichts ändern. In einer Ende 2022 veröffentlichten Mitteilung behauptete er, dass die "gesellschaftlichen Bedingungen" für die Einführung eines dritten Geschlechts oder den Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Zivilstandsregister "noch nicht gegeben" seien.
Auf dem Weg zur Anerkennung eines dritten Geschlechts
Zwar dient das Geschlecht in einer Reihe von Bereichen wie dem Militärdienst, dem Sozialversicherungsrecht und dem Familienrecht noch immer als Bezugspunkt. Die Anerkennung eines dritten Geschlechts erfordert daher mehrere Anpassungen der bestehenden Gesetze, aber das ist an sich nichts Kompliziertes und Gesetzesrevisionen gehören in demokratischen Ländern zum Alltag. Im Übrigen haben bereits viele Länder, darunter die USA, Deutschland, Dänemark, Argentinien und Kanada, die Möglichkeit eingeführt, ein drittes Geschlecht im Personenstandsregister einzutragen, ohne dass dies zu großen administrativen Schwierigkeiten geführt hätte. Die Einführung der Möglichkeit, im Personenstandsregister die Option "divers" zu wählen, ist zwar ein wichtiger Schritt, um nicht-binäre Menschen vollständig in die Gesellschaft einzubeziehen, aber es ist vor allem eine Frage der Menschenwürde und der Gewährleistung der Freiheit, man selbst zu sein.
Auch wenn Nemos Sieg in erster Linie der Sieg einer qualitativ hochwertigen musikalischen Darbietung war, die unabhängig von der Frage der Nicht-Binarität war, wird er den lobenswerten Effekt gehabt haben, eine nationale Debatte über diese Frage und über die Notwendigkeit, nicht-binäre Menschen endlich anzuerkennen und zu akzeptieren, in Gang gesetzt zu haben. Nun ist es an den Parlamentariern, zu handeln, um pragmatische Lösungen zu finden, die es nicht-binären Menschen ermöglichen, sich nicht diskriminiert zu fühlen.